Die Alternativen zur Schule sind im Aufschwung!
Noch vor 2 Jahren hätte ich mir niemals träumen lassen, dass in so kurzer Zeit so viel geschehen kann! Allein der Vereinigung der Freilerner Österreichs sind schon über 100 Familien beigetreten, die einander mit Rat und Tat unterstützen. Der Colearning Space, der mit den ersten Kindern in der viel zu kleinen Sonnenuhrgasse begann und dann in die Hofmühlgasse übersiedelte, residiert seit Ende Mai in den wunderschönen Räumen des Markhofs, wo die Gründer ihre Vision eines DORFES IN DER STADT verwirklichen:
Die beiden unteren Stockwerke einer ehemaligen Druckerei im 3. Bezirk wurden in den vergangenen Monaten großzügig umgebaut. Unverändert blieb nur der Dachboden, der nach wie vor einen Shaolin-Tempel beherbergt. In dem Stockwerk darunter werden demnächst Lernbegleiter mit ihren Familien einziehen, und das Erdgeschoss teilen sich Colearner und Coworker: Da gibt es Räume, in denen die Kinder spielen und lernen. Dann gibt es Räume, Ateliers und Werkstätten, wo Erwachsene ihren Arbeitsplatz haben. Und dazwischen gibt es Begegnungsräume, die allen zur Verfügung stehen – wo man einander kennenlernt und sich zu gemeinsamen Aktivitäten treffen kann. Außerdem einen großen Innenhof, aus dem einmal ein Garten werden soll. Interessenten, die keinen fixen Arbeitsort brauchen, können ein Membership erwerben, das sie in einem bestimmten Rahmen zur Mitbenutzung sämtlicher vorhandener Ressourcen des Markhofs berechtigt. Dadurch soll sich das Dorf auch nach außen erweitern.
Im Markhof ist es also gelungen, nun auch die Trennung zwischen Wohnen, Lernen und Arbeiten zu überwinden und einen echten COLIVING SPACE zu schaffen! Die Trennung zwischen Lernenden und Lehrenden, zwischen Spielen und Lernen, zwischen einzelnen Schulfächern oder verschiedenen Altersstufen hat der CLS ja von Anfang an vermieden. Im Markhof haben die Kinder aber nun erstmals die Möglichkeit, die berufliche Arbeit von Erwachsenen aus nächster Nähe kennenzulernen, ab und zu vielleicht sogar mitzuhelfen und praktische Erfahrungen zu sammeln. Dafür dürfen sich die Erwachsenen von der Phantasie und Lebendigkeit der Kinder animieren und inspirieren lassen. Wie in einer idealen Dorfgemeinschaft ist jeder für sich selbst verantwortlich und zugleich alle füreinander. Niemand wird auf eine bestimmte Funktion festgelegt. Jeder tut, ohne auf Befehle zu warten, was er oder sie gut kann und was die Situation gerade erfordert. Die Lernbegleiterin, die am Vormittag mit den Kindern ein Schaubild zum Thema Geometrie gemacht hat, hilft zu Mittag beim Kochen und Putzen und sitzt am Nachmittag in einer Planungsgruppe, die Finanzierungsfragen diskutiert. Der Jugendliche, der eben noch in einer Ecke gechillt hat, verwandelt sich in einen väterlichen Beschützer, weil zwei Kleine ihn sich als Mentor ausgesucht haben – demnächst wird er vielleicht im Coworking Space mit Erwachsenen arbeiten…
Es wäre ein geradezu paradiesisches Dasein, müssten sich die Freilerner und der Markhof nicht in einer Umgebung behaupten, die noch nach völlig anderen Gesetzen funktioniert. „Offiziell“, so habe ich gelernt, ist ein solch paradiesisches Dasein nicht vorgesehen. Es wird daher offiziell auf keinen Fall unterstützt, ja in vielen Fällen sogar verboten…Die Bürokratie fragt nicht, ob es den Menschen gut geht, sondern ob sie allen Bestimmungen entsprechen. Wo kämen wir denn da hin, wenn die Leute ihr Leben einfach selbst in die Hand nehmen dürften…?
Die Markhof-Gründer, denen es gelungen ist, den Umbau mit privaten Darlehen zu finanzieren, können bis auf weiteres nur auf private Sponsoren hoffen, egal wie erfolgreich sie sein mögen. Staatliche Förderungen erhalten nur Bildungsinstitutionen, die alle formalen Kriterien erfüllen. Freilerner-Eltern, die ihre Kinder nicht mehr zu den vorgeschriebenen Jahresprüfungen schicken, weil sie erkannt haben, dass die Kinder ohne Druck und Stress ihr Potential viel besser entfalten, werden gerichtlich verfolgt und bestraft. Selbst dann, wenn solche Freilernerkinder offensichtlich glücklicher und kompetenter sind als die meisten gleichaltrigen Schüler und sogar das Jugendamt bestätigt, dass es ihnen an nichts fehlt. Vorschrift ist Vorschrift! Wer keine offizielle Bestätigung über den Schulabschluss hat, der ist ein armes, vernachlässigtes Kind, aus dem nichts werden kann… Das sehen nicht nur die Behörden so, sondern auch die Mehrheit unserer Zeitgenossen.
In den letzten Jahren scheint sich allerdings, wenn auch noch zaghaft, ein Wandel in der allgemeinen Einstellung anzubahnen: Offiziell wird zwar an der Gleichsetzung von Kompetenz und Qualifikation festgehalten – je mehr Abschlussurkunden jemand angesammelt hat, desto „besser“ und erfolgreicher muss er sein -, aber dieser Glaube beginnt allmählich zu bröckeln. Immer mehr Unternehmer lassen sich die Zeugnisse von Jugendlichen gar nicht mehr vorlegen, weil sie über deren wahre Kompetenzen sowieso nichts aussagen. Immer mehr junge Leute erkennen, dass selbst zwei oder drei abgeschlossene Studien ihnen keinen vernünftigen Arbeitsplatz garantieren. Dafür machen sich große Firmen auf die Suche nach Absolventen so genannter Orchideenfächer, weil solche Leute erfahrungsgemäß kreativer, sprich weniger „verbildet“ sind. Wenn das so weitergeht, werden die Bildungswissenschaftler vielleicht bald groß angelegte Studien über die NACHHALTIGKEIT von mühsam eingebläutem Schulwissen machen – bisher gibt es die nämlich nicht! Jeder hat eine ungefähre Vorstellung davon, wie viel ein Maturant, eine Abiturientin drei Monate oder drei Jahre später vom Prüfungsstoff noch weiß, aber genaue Untersuchungen darüber sucht man – warum wohl? – vergeblich :-)
Je mehr mutige Pioniere sich trauen, Kindern alternative Bildungsmöglichkeiten wie Freilernen, Colearning, Bildungsgarten des Lebens, WINGS usw. zu bieten, desto mehr Menschen werden sich persönlich davon überzeugen können, dass aus selbstbestimmten Kindern selbstbestimmte Erwachsene werden. Dass nur freiwillig erworbenes Wissen unverlierbar ist. Dass Gedankentiefe nicht von der Zahl gelesener Schulbücher, sondern von der Entwicklung der Wahrnehmungsfähigkeit abhängt. Dass Kochen und Putzen auch den größten Geistern nur gut tun kann. Dass Mädchen und Jungen, die statt unter Gleichaltrigen zwischen Jüngeren und Älteren aufwachsen, ganz automatisch eine Vielzahl sozialer Kompetenzen entwickeln. Kurzum: dass die beste Vorbereitung auf das Leben nicht die Schule ist, sondern das Leben selbst!
Zum Abschluss noch ein zum Pfingstfest passendes Zitat von Vaclav Havel:
„Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass es sinnvoll ist – egal, wie es ausgeht.”
herzlichst
Alexandra und Sibylle