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SCHOLÉ-Nachrichten November 2018

Schole-Titelbild

Liebe Scholé-Freunde, das Thema Bildungsfreiheit scheint immer dringlicher zu werden.

Wie wir täglich den Medien entnehmen können, verschärfen sich die Probleme im Bildungssystem. Es gibt folglich immer mehr Schulabbrecher oder Schulaussteiger, und auch die Zahl der Freilerner steigt. Die Behörden reagieren darauf mit noch mehr Zwang – Noten ab der 2. Klasse VS, strengere Strafen für Schulschwänzen, weitere Kontrollen.

In Deutschland gilt bekanntlich – seit 1938! – eine rigorose Schulanwesenheitspflicht. Österreich kehrte nach 1945 zur liberaleren Regelung der Vorkriegszeit zurück. Nun aber macht sich ausgerechnet die Kinder- und Jugendanwaltschaft dafür stark, dass auch hierzulande die deutsche Regelung wieder eingeführt wird, wodurch häuslicher Unterricht nur noch in medizinisch begründeten Ausnahmefällen gestattet wäre!

In den letzten Wochen habe ich mich deshalb sowohl an Bundespräsident Van der Bellen wie an Bildungsminister Faßmann gewendet und sie ersucht, sich dafür einzusetzen, dass informelle Bildungsformen endlich erforscht statt verboten werden. (Die Briefe findet ihr im Anhang.) Gestern kam eine freundliche Antwort des Bundespräsidenten: Er habe mein Schreiben aufmerksam gelesen und eine Note an Minister Faßmann geschickt, da er selbst ja keinen Einfluss auf die Gesetzgebung habe. Was das tatsächlich zu bedeuten hat, weiß man natürlich nicht, trotzdem habe ich mich gefreut, dass unser Anliegen zumindest wahrgenommen wurde. Obwohl – oder gerade weil – die Situation sich so zuspitzt, habe ich den Eindruck, es könnte sich endlich etwas bewegen.

DIE VERDECKTE AUFSTELLUNG BEIM 2. TREFFEN ZUR BILDUNGSFREIHEIT lässt darauf schließen, dass sich derzeit noch unvorstellbare Entwicklungen bereits zusammenbrauen: Da geht es um Dinge, die außerhalb unseres jetzigen Denkrahmens liegen und sich positiv anfühlten, wir müssen sie nur ZULASSEN. Die zentrale Botschaft dieser Aufstellung lautete, dass KINDER das primäre Bedürfnis haben, eine sinnvolle Aufgabe zu erfüllen. Dafür brauchen sie die Unterstützung ihrer ELTERN. Erhalten sie diese Unterstützung, können die KINDER sich freudig dem freien, INFORMELLEN SPIEL hingeben und dabei innerhalb kurzer Zeit so viel Kraft und Selbstbewusstsein entfalten, dass sogar die JURISTEN, von deren Wohlwollen die Bildungsfreiheit abhängt, sie auf einmal ernst nehmen müssen.

Doch auch JUGENDLICHE, so zeigte die Aufstellung, bleiben auf die Zuwendung ihrer ELTERN angewiesen! Obwohl sie auf eigene Faust Erfahrungen außerhalb der Familie machen wollen und die ELTERN manchmal auf eine harte Probe stellen, ist ihnen deren Nähe doch äußerst wichtig. Die ERGOTHERAPEUTEN fühlten sich stark hingezogen zu den JUGENDLICHEN. Den ZWANG, der vom Zwangsschulsystem ausgeht, erkannten sie als Voraussetzung ihrer Arbeit: Sie erfüllen eine Brückenfunktion zur Bildungsfreiheit und können JUGENDLICHEN bewusst machen, dass sie nicht krank sind, sondern gesunde Reaktionen auf ein krankes System zeigen!

Der vertrauenswürdigste Diagnostiker dieses kranken Systems ist ein vielfach preisgekrönter Lehrer: John Taylor Gatto (1935 – 2018). Nachdem er das Leben in vielen verschiedenen Berufen (u.a. Sanitäter, Universtitätsmitarbeiter, Taxifahrer, Schmuckdesigner und Werbetexter) kennengelernt hatte, wurde er Lehrer und unterrichtete im Staat und der Stadt New York 30 Jahre lang Kinder verschiedenster Schichten. Auf Drängen eines seiner Schüler hielt er an dem Abend, an dem er zum 3. Mal zum „Lehrer des Jahres im Staat New York“ ausgezeichnet wurde, nicht den Mund, sondern sprach erstmals wirklich Klartext. Mit der Ansprache, die er an diesem Abend hielt, beginnt sein Buch „Dumbing Us Down“ (deutscher Titel „Verdummt nochmal“), das 1992 erstmals erschien und inzwischen in die Geschichte des Bildungswesens eingegangen ist. Im angelsächsischen Raum, wo informelles Lernen außerhalb der Schule ja erlaubt ist, hat es zu einem Aufschwung der Freilernerbewegung geführt. Hier einige Auszüge in Gattos eigenen Worten:

„Während ich mit den Hindernissen gerungen habe, die zwischen dem Kind und seiner Bildung stehen, bin ich im Laufe der Jahre zu der Überzeugung gelangt, dass die staatlichen Monopolschulen von ihrer Struktur her nicht reformierbar sind. Wenn ihre zentralen Mythen bloßgelegt und abgeschafft werden, können sie nicht funktionieren. Inzwischen habe ich verstanden, dass ich, unabhängig von meiner eigenen Einschätzung meiner Aufgabe als Lehrer, in Wirklichkeit einem zum größten Teil unsichtbaren Lehrplan folge, der die Mythen der Institution Schule und unseres Wirtschaftssystems, das auf einem Kastenwesen basiert, verstärkt. Als ich darüber nachdachte, was ich Ihnen sagen könnte, um diese meine Erfahrungen fruchtbar werden zu lassen, wurde mir deutlich, dass ich Ihnen am besten erzähle, was an dem, was ich tue, falsch ist. Denn das Richtige ist einfach zu verstehen: Ich stehe den Kindern nicht im Weg, ich gebe ihnen Zeit und Raum und Respekt. Das Falsche an dem, was ich tue, ist allerdings merkwürdig komplex und erschreckend. Ich möchte es Ihnen aufzeigen.

„Die erste Lektion, die ich unterrichte, ist Verwirrung. Alles, was ich lehre, ist aus dem Zusammenhang gerissen. Ich unterrichte die Verbindungslosigkeit von allem, Ich unterrrichte zu viel… Was ich tue, hat mehr Ähnlichkeit mit der Zusammenstellung eines Fernsehprogramms als mit der Errichtung einer Ordnungsstruktur…“

„Das zweite Fach, das ich unterrichte, ist die unentrinnbare Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht. … Meine Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass es den Kindern gefällt, mit Kindern gleichen Niveaus zusammengesperrt zu werden, oder dass sie es zumindest widerspruchslos erdulden. Wenn ich meine Sache gut mache, können die Kinder sich nicht einmal vorstellen, anderswo zu sein, denn ich habe ihnen beigebracht, die höheren Lernniveaus zu beneiden und ihnen mit Ehrfurcht zu begegnen, auf die darunter liegenden Niveaus dagegen mit Verachtung herabzublicken… Das ist die eigentliche Lektion jedes künstlich auferlegten Wettbewerbs und auch der Schule: Du lernst, wo dein Platz ist…“

„Das dritte Fach, das ich unterrichte, ist Gleichgültigkeit. Ich lehre Kinder, sich nicht allzu sehr für irgend etwas zu begeistern, auch wenn sie den Anschein erwecken sollten. Ich tue das auf sehr raffinierte Weise, indem ich fordere, dass sie sich in meinen Unterrichtsstunden bedingungslos engagieren, vor Begeisterung von den Plätzen springen und eifrig miteinander um meine Gunst konkurrieren… Aber wenn die Pausenglock läutet, bestehe ich darauf, dass sie alles, was wir getan haben, augenblicklich stehen und liegen lassen und schnell zur nächsten Arbeitsstation weitergehen. Sie müssen sich wie ein Lichtschalter an- und ausschalten lassen… Die eigentliche Lektion der Pausenglocke ist, dass es keine Arbeit gibt, die es wert wäre, zu Ende geführt zu werden. …“

„Das vierte Fach, das ich unterrichte, ist emotionale Abhängigkeit. Mit Fleißbienchen und Smileys, mit Lächeln und Stirnrunzeln, Auszeichnungen, Ehrungen und Strafen bringe ich den Kindern bei, ihren Willen der vorherbestimmten Befehlskette zu unterwerfen… Rechte existieren in einer Schule nicht… Individualität ist eine Bedrohung für alle Klassifizierungssysteme.“

„Das fünfte Fach, das ich unterrichte, ist intellektuelle Abhängigkeit. Gute Schüler warten darauf, dass ein Lehrer ihnen sagt, was sie tun sollen. Dies ist die wichtigste Lektion von allen: Wir müssen auf andere Menschen warten, die besser ausgebildet sind als wir, um unserem Leben einen Sinn zu geben. Alle wichtigen Entscheidungen werden von Experten getroffen… Erfolgreiche Schüler übernehmen das Denken, das ich ihnen vorgebe, mit einem Minimum an Widerstand und dezenten Anzeichen von Begeisterung. Ich entscheide, für welche von den Millionen Dingen, die es wert wären, studiert zu werden, wir Zeit haben. In Wirklichkeit wird dies allerdings von meinen unsichtbar bleibenden Arbeitgebern entschieden. …“

„Das sechste Fach, das ich unterrichte, ist labiles Selbstbewusstsein. Wenn Sie jemals versucht haben, Kinder in Reih und Glied zu bringen, deren Eltern ihnen die Überzeugung vermittelt haben, dass sie bedingungslos geliebt werden, wissen Sie, dass es unmöglich ist, Geister voller Selbstvertrauen zur Anpassung zu bewegen. Unsere Welt würde so, wie sie ist, eine Flut selbstbewusster junger Leute nicht lange überleben, daher unterrichte ich, dass die Selbstachtung eines Kindes von der Meinung eines Experten abhängen sollte. Meine Kinder werden ständig ausgewertet und beurteilt. … Den Menschen muss gesagt werden, was sie wert sind.“

„Die siebente Lektion lautet, dass man sich nicht verstecken kann. Ich lehre die Schüler, dass sie immer unter Beobachtung stehen und ständig überwacht werden… Ich entwickle eine Art erweiterter Beschulung, die so genannten Hausaufgaben, so dass die Wirkung der Überwachung, wenn schon nicht die Überwachung selbst, sich bis in den privaten Haushalt erstreckt, wo die Schüler sonst ihre freie Zeit nützen könnten, um etwas zu lernen, was nicht autorisiert ist… Kinder müssen engmaschig überwacht werden, wenn man eine Gesellschaft unter strenger zentraler Kontrolle halten will…“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich grüße euch herzlich
Alexandra

OFFENER BRIEF AN BUNDESPRÄSIDENT VAN DER BELLEN OFFENER BRIEF AN BILDUNGSMINISTER FASSMANN

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